Wie ich in der Motivation dieser Reihe erwähnte, ist einer der Beweggründe vieler Mitglieder die Entscheidungen zu Gesetzen, die die Lebensrealität stark beeinflussen ohne dass die Entscheidungsträger*innen im Gesetzgebungsprozess auf die Bedürfnisse der Betroffenen eingehen mussten. Einige haben sich deshalb aufgemacht, sich in eine Position zu bringen, dass sie von den Entscheidungsträger*innen nicht mehr ignoriert werden können. Das ist dann wohl das, was gelegentlich als „Politik aus Notwehr“ präsentiert wird.

Gelegentlich höre ich auch die Ansicht, dass wir unsere Ziele ja dadurch erreichen würden, wenn sich die Entscheidungsträger*innen auf uns zu bewegen würden, uns einfach mal zuhören würden. Ich halte beide Ansichten angesichts der Komplexität des Themas für verständlich aber leider naiv. Zur Erläuterung des Themenkomplexes benutze ich Definitionen, die Antje Schrupp und Dorothee Markert destilliert haben1

Politik bedeutet, dass Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit über die Regeln des Zusammenlebens verhandeln. Politik findet nicht nur in Parlamenten [..] statt, sondern überall, [..] – eben immer dann, wenn man sich ein Problem zu Herzen nimmt, wenn man den Impuls verspürt, aus dem Privatinteresse herauszutreten und sich mit anderen zusammenzutun, und wenn dieses Leidenschaft und Reaktionen weckt.

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Macht hingegen bedeutet, dass Regeln in festen Formen und Institutionen festgeklopft werden, dass Einfluß und Entscheidungskompetenzen verteilt und in Hierarchien installiert werden, dass Menschen über andere bestimmen können, ohne sich mit deren Freiheiten und deren Begehren auseinander setzen zu müssen.

Beides liegt oft nah beieinander liegen, oder einen fließenden Übergang, z.B. in der Biografie einzelner Menschen, darstellen. Für diesen Blogpost reicht es allerdings festzustellen, dass die negativen Auswirkungen des Gesetzgebungsapparates fast ausschließlich der Macht zuzuschreiben sind.

Es fällt auch auf, dass der parlamentarische Alltag in unseren Breitengraden überwiegend von ihr dominiert wird. Geneigten Leser*innen dürfe es nahe liegen, den Wunsch nach mehr Politik im demokratischen Betrieb als ein Ziel der Piratenpartei zu interpretieren.

Die Parteien, die gerade den parlamentarischen Alltag definieren könnten diesem Wunsch kaum ferner sein. Durch den sozialen Strukturwandel ihrer Bezugsgruppen beraubt2 erstreben sie Machterhalt ohne erkennbare eigene Agenda. Dadurch verfallen sie in das Anregen symbolischer Akte oder verfolgen die Agenda der Expert*innen, die größtenteils in ihr wohlvertrautes neoliberales Horn blasen3.

Doch nicht nur dieses, weiterhin besteht nach Weber4 die geradezu systemimmanente Tendenz von Parteien Machtverhalten als Vorraussetzung für die politische Karriere innerhalb einer Partei heraus zu bilden. So verwundert es auch nicht, dass gemeinhin von Parteivertreter*innen dieses Verhalten erwartet wird.

Wenn die Piratenpartei sich im ihren Handeln also mehr nach der Politik als der Macht orientieren möchte, gibt sie sich eine gänzlich andere Ausrichtung als sie gemeinhin von Parteien erwartet wird. Das Verhalten von Vertreter*innen, die sich um Politik bemühen, wirkt für Außenstehende und Uneingeweihte befremdlich und bestenfalls naiv. In etwa so, als würde eine Mannschaft zwischendurch Dame in einem mehrdimensionalen Schachspiel spielen.

Es ist der weit verbreiteten politischen Naivität innerhalb meiner Partei zu verdanken, dass diese unterschiedlichen Ansichten über politisches Verhalten in einer Art nebeneinander existieren, die wohl einmalig sein dürfte. Um dieses zu erhalten und darüber hinaus den Wunsch zum politischen Verhalten zu zementieren, kann das Bewusstsein über die enttäuschten Erwartungen der anderen nur förderlich sein.

Betrachtungen aus verschiedenen Perspektiven sind dafür nötig. Dies wird noch einiges an Denkarbeit brauchen. So wurde einiges geschrieben, warum sich die Begebenheiten im parlamentarischen Betrieb so entwickeln, wie sie sind, aber leider kaum etwas zu dem ungleichen Wechselspiel von Macht und Politik.

Ich für meinen Teil glaube daran, dass es an der Zeit ist, der Demokratie ein wirkliches Upgrade zu geben. Nicht nur durch bessere Methoden sondern auch durch ein Streben nach Politik in dem hier definierten Sinne.  Dieses kann nach Luisa Muraro5 durch die symbolische Unabhängigkeit von Macht erreicht werden.

Meines Erachtens nach muss dieses durch eine Kultur der Verantwortung sozial verankert werden. Dies wird das Thema meines letzten Blogposts dieser Reihe zum Jahreswechsel sein.

  1. Vorwort der Übersetzerinnen zu: Diotima – „Macht und Politik sind nicht dasselbe“, 2012 Ulrike Helmer Verlag
  2. Colin Crouch – „Postdemocracy“, 2004 Polity Press
  3. Loic Waquant – „Das bestrafen der Armen, 2009 Verlag Barbara Budrich
  4.  Max Weber – „Politik als Beruf“, 1926 z.B. Reclam
  5. ebenfalls Diotima – „Macht und Politik sind nicht dasselbe“, 2012 Ulrike Helmer Verlag