Ich habe gerade Nietzsche gelesen, jenen großen Geist durchzogen von Verbitterung, Enttäuschung und Hass. Aber auch er hat Hoffnung, sonst hätte er diese Zeilen nicht geschrieben und in einem anstrengenden Aufwand zur Veröffentlichung gebracht.

Und ich habe nicht irgendwas von ihm gelesen, sondern jenen Abschnitt aus “Also sprach Zaratustra” den man mit “seht, ich lehre euch den Übermenschen” betiteln könnte.

Es war nicht das erste Mal, dass ich dies las, und es erfreut mich immer wieder. Denn er spricht vom Wandel, vom nötigen Wandel. Vom Wandel zum “Übermenschen”. Dieses Thema ist Heute, an dem Zeitpunkt, an dem sich so vieles ändern muss, aktueller denn je.

Leider hat er dies in einer, für einen Philosophen, sehr untypischen Art und Weise verpackt. Und ärgerlicherweise konnte sein Werk dadurch auch von jenen umgedeutet1 werden, die in ihrer Diktatur definitiv keine selbst entwickelten Werte haben wollten. Ich habe mich schon oft gefragt, warum er solch eine Angst hatte, auf dass er nicht deutlicher gesprochen hat. Vielleicht werde ich mir sogar irgendwann darüber klar werden.

Aber zurück zu seinem Werk.

Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?

Alle Wesen bisher schufen etwa über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser großen Flut sein und lieber noch zum Tiere zurückgehn, als den Menschen überwinden?

Zuerste einmal zum Übermenschen: Der Übermensch ist ein zentraler Begriff dieses Buches. Es steht für einen Menschen, der die alten überlieferten Werte abgelegt, sich quasi vom Ballast der von Mystik und Religion verklärten Jahrtausende befreit, hat um sich selbst neue Werte, Ideale & Normen zu entwickeln. Diese mögen für die Menschen des “alten” Schlages sehr befremdlich erscheinen, wahrscheinlich sogar amoralisch.

Diese Überwindung ist aus mehreren Gründen notwendig. Zum einen werden wir erst dann in einer Gesellschaft leben können, die uns unsere Freiheit gewährt ohne uns dabei zu unterdrücken, wenn wir den momentan leider notwendigen äußeren Druck der Statsgewalt in die Köpfe der Menschen bekommen. Wobei ich hier anmerken möchte, dass ich kein großer Freund von Druck und Zwang bin und auch nicht glaube, dass es helfen würde, wenn man jetzt z.B. jeden Menschen ein Gerät einbaut, welches die Gedanken und das Tun seines Opfers kontrolliert (um gleich mal die schlimmste Auslegung vorwegzunehmen ;) ). Ich bin inzwischen zu der Einsicht gelangt, das all diesen “Ismen”2 der grundlegende Makel anhaftet, dass sie verschen, die Menschen einer Gesellschaft durch äußere Einflüsse und Organisation zu verändern. Diese Vorgehensweise übersieht vollkommen einen wichtigen Aspekt der menschlichen Natur, ist aber, in Anbetracht der Zeiten, in der diese Theorien entstanden, durchaus verständlich. Zum anderen ist es nicht einzusehen, warum wir uns nicht von unserer jetzigen Stand der geistigen Degeneration weiter entwickeln sollten, wenn wir doch zu so viel mehr in der Lage sind.

In anderen Worten beschrieben: Der Mensch muss sich von seinem alten Weltbild lösen, damit er seine Bestimung erfüllen und sich zum Übermenschen weiterentwickeln kann. Dies ist ein langsamer, anstrengender Schritt, den man auch ganz gut an einem anderen Zitat aus demselben Buche erkennen kann:

Der Mensch ist ein Seil gespannt zwischen Tier und Übermensch.

Doch es geht ihm um mehr als die reine Fesstellung, dass man sich irgendwo auf dieser gedachten Stelle definieren kann bzw. von seiner Sozialisation definiert wird. Wie jeder guter Denker, der sich ein bisschen mit Menschen beschäftigt hat, weiß er, dass sich die Menschen in einer Gesellschaft beileibe nicht alle auf dem selben Entwicklungsstand befinden. Da gibt es einige, die sind mit ihrem Gedankengut und Wesen in vergangenen Zeiten verwurzelt, die breite Masse, die definiert, was als Normalität betrachtet wird und dann noch ein paar wenige, die vorraus denken3. Diese sind meist nonkonform und umstritten. Denn an diesen Konflikten entwickelt sich eine Gemeinschaft.

Wenn die Zahl der nonkonformen Menschen aber in einer Gesellschaft abnimmt, dann droht die Entwicklung eben jener stehen bleiben und als letzte Konsequenz stagniert die Gesellschaft. Und, da stimme ich ausnahmsweise mal mit unserem Wirtschaftsweisen überein, Stillstand bedeutet Verfall. Abstruserweise ist aber schon seit längeren ein Trend zur Konformität auf breiter Gesellschaftlicher Basis zu erkennen. Sicherlich, eine wirklich “deutsche”4 Lebensweise ist so nicht mehr zu betrachten, da sich die Gesellschaft immer mehr in Splittergruppen aufteilt und verliert. Doch durch all diese ist, trotz aller Unterschiede, eine Schnittmenge an Werten & Normen zu betrachten. Eine Überhand nehmende Konformität ist also sehr schlecht für eine Gesellschaft.

Nichtdestotrotz fördern wir in letzter Zeit massiv Konformität in unserer Gesellschaft. Natürlich nicht wirklich bewußt. Aber es ist eine Tatsache, dass eine permanente Überwachung Konformität fördert. Wenn man sich anschaut, was wir heutzutage mit dem großen Lauschangriff und der Vorratsdatenspeicherung schon an Überwachung haben, dann möcht ich eigentlich gar nicht wissen, wohin das noch alles führen könnte. Noch ein Grund mehr, dagegen anzukämpfen. Noch ein Grund mehr, um die Massen aufzuklären!

  1. bzw. anders gedeutet werden, als ich und viele andere Philosophen ihn verstehen
  2. Wie ich sie gerne nenne.
  3. und eben jene sind auch seine Zielgruppe. Wer macht sich auch sonst die Mühe, seine Schriften zu ergründen? ;)
  4. um jetzt mal bei meinem Heimatland zu bleiben, in anderen Industriestaaten lässt sich das auch ganz gut betrachten