Über das Wochenende war meine kleine Familie zum Familientreffen in Zürich gewesen. Da wir – klassischerweise – gerade knapp bei Kasse sind, hatten wir uns möglichst günstige Wege ausgesucht: hin per Bahn und zurück per Bus beide Male durch die Nacht und am frühen Morgen ankommen. Der Mix entstand daraus, dass ursprünglich geplant war, dass die Mutter mit dem Kind von dort aus weiter in den Urlaub fahren würde und ich schon die Busfahrt zurück gebucht hatte.1 Die beiden fahren jetzt zwar immer noch in Urlaub, aber halt erst Morgen von Berlin aus, aber das nur am Rande.
Wir waren also um kurz nach 1 in Basel angekommen, das Kind hatte mit uns im Zug geschlafen und wir dachten uns „gehen wir vor den Bahnhof, da ist es vielleicht leiser“. Unser Kind ist nämlich sehr lärmempfindlich und die lauten Lokomotiven behagten gar nicht. Die Idee wäre in einem Provinzbahnhof vielleicht eine gute Idee gewesen, aber nicht in Basel. Kaum hatten wir uns auf eine Bank auf dem Bahnhofsvorplatz gesetzt ging es auch schon los: „Oh! Taxi!“ „Taxi!“ „Ohh! *zeigtbegeistertaufeineTram*“ „Taxi, Butz2!“ Naja, wir sind dann aufs Gleis und fanden ein Wartehäuschen in dem wir die Stunden überbrücken konnten. Das ging da sogar ganz hervorragend und der einzige Mensch der uns störte war eine freundliche Seele von Bahnangestellten, der uns frug ob er denn Milch aus der Kantine für das Baby kostenfrei bringen könne3. ´
Jedenfalls lief ich zwischendurch, bevor wir uns wieder schlafen legten, noch mit dem Kind über den Bahnsteig auf der Suche nach Infotafeln. Anhand der U-Bahnsteige in Berlin konnte ich schon vermittelt, dass wir nicht über den Sicherheitsstreifen hinaus gehen und ich war sehr begeistert wie gut das eingehalten wurde. Natürlich gab’s immer mal wieder kleine Provokationen, Grenzen müssen schließlich ausgetestet werden, aber das läuft. Ich weiß, ich kann da Vertrauen und auch mal 20Sekunden eine Infotafel studieren ohne das Kind auf den Gleisen wieder zu finden. Überhaupt funktioniert das in letzter Zeit wirklich famos bei uns. Ich habe keine Angst wen sich der Nachwuchs auf offener Fläche von mir entfernt, solange in Hörreichweite geblieben wird, weil ich weiß, dass auf mich hören wird.
Im Allgemeinen versuche ich auch nicht zu viele Grenzen zu ziehen und eigene Erfahrungen zu ermöglichen. Und so lange es keine Gefahr für Leib, Psyche oder Leben beinhaltet versuche ich auch eher meine eigene Erfahrung als Hinweis zu teilen und die Entscheidung dem Kind selbst zu überlassen. Schwieriger ist es da mit den Grenzen, die bislang nur implizit galten, weil ihre Überschreitung noch nicht möglich war. Weil ich nicht mehr Grenzen ziehe als nötig, ziehe ich auch keine präventiven Grenzen. Ein aktuelles Beispiel:
Das Kind ist schon lange von Fenstern fasziniert. Und wollte sie auch immer auf machen und raus gucken. Zum Glück kam’s da nie so gut dran und abgesehen von seltenen Ausnahmen, wo ich’s auf die Fensterbank stellte, um der Mama beim Gehen zu winken, kam’s da auch noch nie rauf. Und bei diesen Gelegenheiten halte ich’s auch nochmal besonders gut fest, wir wohnen schließlich im hoch gelegenen dritten Stock. Nun steht da schon länger ein Hocker unter einem Fenster, letztens wurde noch begeistert geübt Sturmhaken aus- und wieder einzuhängen.
Wir hatten noch aus eben jenem raus gewunken gehabt als die Mama gegangen war und dann andere Dinge getan. Ich war gerade dabei irgendwas im Flur zu tun als ich sah wie das Kind auf den Hocker stieg, einmal das Knie anwinkelte und sich auf die Fensterbank hob. Ich nagelte es sofort mit Stop!-Rufen auf dem inneren Fensterbrett fest während ich in den Raum lief und das angesichts meiner Angst völlig aufgelöste Kind in die Arme nahm und tröstete.
Meine Panik dürfte wahrscheinlich unterstrichen haben, dass es mir extrem wichtig ist, dass mein Wunderkind auf dem Fensterbrett herum turnt (auch wenn draußen noch ein Pflanzenkasten steht, das Risiko ist mir einfach viel zu groß). Die Neugierde dieses Kindes ist nicht zu sättigen und ich möchte das auch nicht ändern. Allerdings möchte ich auch entspannt im anderen Räumen der Wohnung sein können während das Kind spielt. Das Problem ist, dass wir so alte Fenster haben. Die kann mensch nicht auf Kipp stellen, nur mit Sturmhaken arretieren. Wie löst ihr das Problem? Fenster zu? Nen Sturmhaken weiter oben anbringen? Ich bin mir da gerade unsicher. Als erste Maßnahme wird der Hocker an eine andere Ecke unserer Wohnung kommen.
Die Rückfahrt mit dem Bus klappte übrigens ganz hervorragend. Das Kind konnte nach der spektakulären Fährfahrt mit Blitz, Donner, Regen & Wind über den Bodensee ganz wunderbar die Nacht durchschlafen während die Erwachsenen versuchten auf den Sitzen ein wenig Schlaf zu ergattern. Demnächst reisen wir nur noch so auf langen Strecken!
- Ich scheide diesen Sommer leider aus, weil ich ja gerade erst eine neue Arbeit begonnen habe. ↩
- Butz ist das amtliche-kleinkindliche Wort für Rot. Ich versuche auch immer wieder klar zu machen, dass das kaum ein Mensch versteht. Aber das hat dem Nachwuchs bislang nicht eingeleuchtet ↩
- Wir wurden dann später darüber aufgeklärt, dass das für die Schweiz auch eher ein untypisches Verhalten sei aber das hatte mich nachhaltig beeindruckt ↩
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