Unter Partizipation verstehe ich das beteiligt werden, in diesem Fall, an politischen Entscheidungen. Die Piratenpartei hat es sich als Marke gesetzt, dass sich alle an ihren Prozessen beteiligen können. Nun, wo wir uns immer mehr in parlamentarischen Alltag bewähren müssen, gilt es zu prüfen, wie wir dieses auch umsetzen können.
Zuallererst möchte ich darauf hinweisen, dass dieses „alle können mitmachen“ ganz wunderbar in die privilegienfreie Welt von maximalprivilegierten Nerds passt, mit der gesellschaftlichen Realität aber leider herzlich wenig zu tun hat. Wir leben in einer Gesellschaft in der die alltägliche Diskriminierung von Menschen aufgrund verschiedenster Merkmale so selbstverständlich ist, dass sie von den meisten betroffenen Menschen ohne hinterfragen mit getragen wird. Der ganz normale Sermon an Vorurteilen und Ungleichbehandlung wird von den meisten unbewusst in allen Kontexten verwendet.
Doch es ist nicht nur die strukturelle Diskriminierung von Menschen, die Partizipation erschwert. Hinzu kommen die technischen und intellektuellen Herausforderungen für die einzelnen Beteiligten, die sich durch die Werkzeuge und sozialen Vorschriften der Mitwirkenden ergeben.1
Um an Entscheidungen beteiligt werden zu können braucht es dafür aber auch den Raum, Informationen und vor allen Dingen die Zeit. Ob der Raum nun ein zentraler oder viele verschiedene sein sollten ist eine spannende Frage, die ich noch nicht umfassend behandelt habe. Es ist allerdings gegeben, dass sich durch die diversen Kommunikationskanäle ganz selbstverständlich verschiedene Räume für Information & Diskussion ergeben. Er ist allerdings auch lange nicht so ein gewichtiger Faktor wie die beiden anderen.
Alle relevanten Informationen zur Verfügung zu haben ist fundamental wichtig für die Beteiligung an Entscheidungsprozessen. Gerade die Bestimmungshoheit der Relevanz einzelner Informationen für nicht direkt am Prozess beteiligte Menschen kann ein mächtiges Instrument der Meinungsmanipulation dar stellen. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, möglichst viele Informationen so ungefiltert wie möglich zur Verfügung zu haben. Andererseits sind Rohdaten gerne zu unübersichtlich oder für fachfremde Menschen unbrauchbar, so dass es dazu auch die möglichst verständlich aufgearbeiteten Daten benötigt.
Der entscheidenste Faktor ist allerdings Zeit. Es braucht Zeit, Informationen aufzuarbeiten und mitzuteilen, Sachverhalte zu erfassen sowie Positionen nachzuvollziehen, abzuwägen, eigene zu erarbeiten und so mitzuteilen, dass sie von den Adressierten auch erfasst werden können. Ganz zu schweigen vom Vermitteln zwischen Positionen und dem Austausch mit möglichen Verbündeten. Die Menschen in unserer Gesellschaft haben aber von dieser Ressource am wenigsten zu ihrer freien Verfügung und gehen dann auch noch verschwenderisch mit ihr um, wie schon Seneca gut erkannte.
Kommen wir von den abstrakten Hindernissen zu den konkreten. Das deutsche Gesetz für Parteien schreibt zwingend hierarchische Strukturen vor. Auch wenn es dabei nicht den Informationsfluß oder die Formen der Partizipation innerhalb der Parteien vorschreibt, setzt es doch klare Vorgaben der Verantwortlichkeiten und Aufteilung nach Landesverbänden. Des weiteren sind Formen der Organisation in denen Delegierte ihren Wähler*innen direkt verantwortlich sind, in dem Sinne, dass diese ihre Entscheidungen bestimmen und sie gegebenenfalls ihrer Position entheben könnten, nicht zulässig.
Und dann haben wir auch eine Parteienlandschaft, die von stark hierarchisch organisierten Parteien angefüllt ist. Es ist schlicht kein Mensch gewöhnt, dass sich Parteien auch anders verhalten könnten. Richtungs- und Machtkämpfe sind wohl vertraute Phänomene. Aber bei ihnen werden immer die etablierten Strukturen bewahrt und es gibt immer feste Ansprechpartner*innen, die den Ton angeben.
Zusammengefasst sind die Gegebenheiten der Partizipation alles andere als förderlich. Die gesellschaftlichen Vorraussetzungen sind nach jahrtausenden der strukturierten Diskriminierung alles andere als rosig. Und auch wenn wir da in den letzten Jahrhunderten gigantische Fortschritte gemacht haben ist das noch lange kein Grund, sich auf diesen auszuruhen.
Wenn wir also die Partizipation weiter fördern wollen, dann braucht es ein Umdenken auf allen Ebenen. Abseits einer besseren Fehlerkultur, ich schrieb da im Frühling drüber, müssen wir uns darüber klar sein, dass solche Entwicklungen immer bei uns selbst anfangen. Uns allen in der Piratenpartei obliegt die Verantwortung dafür, ein Klima zu erschaffen, welches es angenehm macht, sich zu beteiligen. Das müssen und können gar nicht die wirklich großen Würfe sein, aber sich auf den Weg begeben ist wichtig. Ich würde es zum Beispiel wirklich toll finden, wenn wir mal Sachen ausprobieren und dann beurteilen, mal Wagnisse eingehen und Ideen anderer konstruktiv ergänzen könnten.
Und wenn ihr mir jetzt damit kommt, dass Menschen doch so seien und dass ich mich doch nicht so anstellen soll, ein dickes Fell ist halt in der Politik nötig und wie die Sprüche alle so gehen… dann muss ich euch sagen, dass ihr euch leider gerade genau so wie die reaktionären Spinner verhaltet, wegen denen diese Partei gegründet wurde und ihr seid gerade alles andere als hilfreich, dass sie ihrer Aufgabe auch gerecht werden kann.
Ach ja, da müssen nicht nur alle mitmachen (wollen). Da ist es umso wichtiger, dass wir darauf achten, in die momentan wichtigen Positionen Leute zu wählen, die sich ihrer Verantwortung bewußt sind, die sich ihrer bewußt sind und versuchen wollen, ihrer gereicht zu werden. Leute, denen viel an der Partizipation aller liegt und denen es um die Sache geht. Leute, die Sachen anders machen wollen und nicht nur den nächsten „professionellen“ Auftritt im neuen orangenem Gewand.
Klar ist, dass diese ganzen Verhaltensänderungen nicht einfach fallen (werden). Sich abseits der Norm verhalten fällt stets auf und gerade Kämpfer*innen gegen strukturierte Diskriminierung werden gerne mal als Spaßbremsen wahr genommen. Privilegien zu verlieren, die von einem selbst wahrscheinlich nie bewußt wahr genommen wurden, tut verdammt weh. Und auch Kolleg*innen, die immer wieder darauf besteht, das so viel wie möglich gestreamt, dokumentiert und aufbereitet wird, oder am besten sogar selbst ein Mensch dieser Sorte sein, kann im Alltag wirklich anstrengend sein.
Es ist immer einfacher, den ausgetrampelten Pfaden zu folgen und/oder sich mit den mühsam erkämpften Fortschritten zu begnügen als sich ständig reflektieren, hinterfragen (lassen) zu müssen. Es ist immer einfacher mit dem Sachzwang zu argumentieren als Alternativen zu diskutieren. Es ist immer einfacher die Dinge einfach so zu lassen wie sie sind.
Aber es ist die Anstrengung wert. Wir haben die Chance, wirklich etwas zu ändern, wirklich etwas zu bewegen, wirklich einen wertvollen Beitrag zu leisten.
Wisst ihr’s noch? Wir wollen Sachen anders machen. Bitte, lasst uns endlich gemeinsam damit anfangen!
- So ist es zum Beispiel für Leute ohne den entsprechenden intellektuellen Hintergrund nur schwer möglich diesen Text angenehm zu konsumieren oder sich in einer eventuellen Diskussion zu beteiligen. Ich bemühe mich im Allgemeinen um möglichst einfache Sprache, muss aber zugeben, dass es gerade bei komplexen Themen von mir aufgrund von Zeitnot vernachlässigt wird. ↩
Comments are off this post